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Das Kammergericht hatte über einen vom Amtsgericht erlassenen Haftbefehl in einem Strafbefehlsverfahren zu entscheiden. Das Amtsgericht hatte zunächst einen Strafbefehl mit einer Geldstrafe erlassen, gegen den die Beschuldigte Einspruch eingelegt hatte. Ein Strafbefehl ähnelt einer Anklageschrift, enthält aber eine konkrete Strafe und wird von einem Gericht erlassen. Legt der Beschuldigte gegen einen Strafbefehl keinen Einspruch ein, dann steht der Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil gleich. Auf diese Weise kann daher ein Strafurteil ohne mündliche Verhandlung ergehen, die Strafhöhe kann dabei bis zu einem Jahr Bewährungsstrafe betragen.

Nach den Vorschriften der Strafprozessordnung kann sich der Beschuldigte -nach eingelegtem Einspruch gegen einen Strafbefehl- in der mündlichen Verhandlung grundsätzlich durch einen Verteidiger vertreten lassen. In dem vom Kammergericht zu entscheidenden Fall hatte das Amtsgericht allerdings das persönliche Erscheinen der beschuldigten Person angeordnet. Diese war zum Hauptverhandlungstermin nicht erschienen, weshalb das Amtsgericht einen Haftbefehl erlassen hat.

Die von mir hiergegen eingelegte Beschwerde wurde vom Landgericht Berlin verworfen, die weitere Beschwerde zum Kammergericht hatte dagegen Erfolg. Das Kammergericht hob den Haftbefehl durch Beschluss vom 11.12.2019 mit der zutreffenden Begründung auf, dass der Erlass des Haftbefehles nicht verhältnismäßig war. Hier hätte das Amtsgericht u. a. die Möglichkeit prüfen müssen, ob es auch ohne Anwesenheit der betroffenen Person hätte verhandeln können. Selbst wenn das persönliche Erscheinen angeordnet wird, kommt der Erlass eines Haftbefehls nur in Betracht, wenn das Gericht nach sorgfältiger Prüfung diese Möglichkeit ausgeschlossen hat. Zwar kann das Amtsgericht auch wegen des Nichterscheinens bei persönlicher Ladung des Beschuldigten einen Haftbefehl erlassen, das muss aber in der Ladung jeweils ausdrücklich angedroht werden, was hier nicht der Fall war.

Das Kammgericht weist ergänzend darauf hin, dass dem Strafbefehlsverfahren die Verhaftung des Angeklagten strukturell fremd ist. Der Erlass eines Haftbefehls darf zudem nicht dem Selbstzweck dienen, den Ungehorsam des Angeklagten zu ahnden. Es müsste also vor Erlass eines Haftbefehls vom Gericht sorgfältig geprüft und dargelegt werden, dass die Aufklärungspflicht oder andere zwingende Gründe die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung unbedingt erforderlich machen.

Fundstelle: Kammergericht, Beschluss vom 11.12.2019, Az. 2 Ws 200/19 – 121 AR 293/19

Es gibt Straftaten wie z. B. Beleidigung, Hausfriedensbruch, unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, Haus- und Familiendiebstahl usw., die nur auf Antrag des (mutmaßlich) Verletzten verfolgt werden. Man nennt diese Delikte absolute Antragsdelikte. Der Strafanatrag alleine reicht aber nicht zur Verfolgung der vermeintlichen Straftat. Der Antrag muss auch von der hierfür berechtigten Person fristgerecht gestellt werden. Beim Hausfriedensbruch ist grundsätzlich nur der Mieter antragsberechtigt, nicht dagegen der Eigentümer bzw. der Vermieter der Mietsache. Das hat das Kammergericht in dem von mir verteidigten Verfahren mit Beschluss vom 03.08.2015, Az. (2) 161 Ss 160/15 (44/15), abschließend klargestellt.

In dem Verfahren war der Beschuldigte wegen Hausfriedensbruchs angeklagt und zunächst in den ersten beiden Instanzen auch verurteilt worden. Er soll sich im S-Bahnhof Ostkreuz mit dem Oberkörper in ein Aufsichtshäuschen hineingebeugt und einen Fuß hineingestellt haben. Auch nach Aufforderung soll er mit dem Oberkörper und dem Fuß nicht wieder aus dem Häuschen herausgegangen sein. Er soll sich zudem gegen die Tür gestemmt haben, als das Aufsichtspersonal ihn durch Schließen der Tür nach draußen schieben wollte. Erst der dazugekommene Sicherheitsdienst soll ihn dann vollständig aus dem Häuschen gezogen haben. Im Anschluss hat der Leiter der A-AG, die der S-GmbH das Aufsichtshäuschen vermietet hatte, Strafantrag gestellt.

Hier hätte aber die S-GmbH als Inhaberin des Hausrechtes den Strafantrag stellen müssen. Das Kammergericht hat das Strafverfahren daher richtiger Weise wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses durch Beschluss eingestellt. Zuvor war der Beschuldigte vom Amtsgericht Tiergarten und vom Landgericht Berlin jeweils zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen wegen Hausfriedensbruchs verurteilt worden. Beide Gerichte hatten verkannt, dass hier gar kein gültiger Strafantrag vorgelegen hat und das Verfahren einzustellen gewesen wäre, das hat das Kammergericht mit dem Beschluss vom 03.08.2015 nachgeholt.

Für mitlesende Anwaltskollegen sei der kostenrechtliche Hinweis erlaubt, dass die Einstellung in der Revisionsinstanz wegen eines Prozesshindernisses auch die Befriedungsgebühr gem. Nr. 4141 RVG VV auslöst, die Kosten insgesamt muss natürlich die Staatskasse tragen (vgl. Beschluss des Landgerichts Berlin, 27.11.2015, Az. 510 Qs 155/15).

Fundstellen: Kammergericht, Beschluss vom 03.08.2015, Az. (2) 161 Ss 160/15 (44/15); Landgericht Berlin, Beschluss vom 27.11.2015, Az. 510 Qs 155/15

Das Kammergericht hat mit Beschluss vom 07.01.2013, Az. 3 Ws (B) 596/12 – 162 Ss 178/12, die Verurteilung wegen eine Verkehrsordnungswidrigkeit durch das Amtsgericht Tiergartens wegen der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung aufgehoben. Dem Beschuldigten wurde vorgeworfen, dass er mit überhöhter Geschwindigkeit mit seinem Fahrzeug gefahren ist, wobei ihn die Polizei mit dem Überwachungsgerät Policescan Speed geblitzt haben soll. Der Verteidiger hatte neben der Akteneinsicht in die Gerichtsakte auch Akteneinsicht in die Gebrauchsanweisung des Blitzers beantragt, um prüfen zu können, ob das Gerät ordnungsgemäß bei der Messung eingestellt und ob es entsprechend der von dem Hersteller vorgegebenen Weise verwendet und justiert worden sei. Das Amtsgericht Tiergarten kam dem nicht nach, worauf der Verteidiger beantragte, die Hauptverhandlung auszusetzen. Den Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung lehnte das Amtsgericht mit der Begründung ab, eine Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung des Messgeräts sei zur Sachaufklärung nicht erforderlich, da es sich bei der Messung um ein standardisiertes Verfahren mit einem geeichten Gerät gehandelt habe. Außerdem bestünden Bedenken gegen eine Aushändigung der Bedienungsanleitung, da es sich um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handele und die Bedienungsanleitung nur für dienstliche Zwecke zur Verfügung gestellt worden sei.

Das Kammergericht hat nun in dem Beschluss vom 07.01.2013 -unter Zitierung zahlreicher weiterer Gerichtsentscheidungen- eindeutig klargestellt, dass die Ablehnung des Amtsgerichts Tiergarten, die Bedienungsanleitung an den Verteidiger herauszugeben rechtswidrig war. Das gelte unabhängig davon, ob ein standardisiertes Messverfahren vorliege. Denn nur das Einsichtsrecht des Verteidigers in die Bedienungsanleitung eines Geschwindigkeitsmessgeräts ermöglicht es ihm, die Polizeibeamten als Zeugen zu der ordnungsgemäßen Durchführung der Messung zu befragen und die ordnungsgemäße Bedienung des Gerätes nachzuvollziehen und zu überprüfen. Die Bedienungsanleitung ist sogar dann, wenn sie sich noch nicht bei den Akten befindet, durch das Gericht anzufordern zu den Akten zu nehmen. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit und dient der Wahrung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen. Ein etwaiges Urheberrecht des Herstellers an der Bedienungsanleitung kann dem nicht entgegenstehen. Im zu entscheidenden Fall stellte die Nichtgewährung der Akteneinsicht eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung dar, weshalb das Kammergericht das erstinstanzliche Urteil aufheben und die Sache zu neuer Verhandlung an das Amtsgericht Tiergarten zurückverweisen musste.

Fundstelle: Kammergericht, Beschluss vom 07.01.2013, Az. 3 Ws (B) 596/12 – 162 Ss 178/12

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