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Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat in dem Beschluss vom 23.08.2023, Az. 49/22, entscheiden, dass die Rehabilitierungsgerichte die Haftähnlichkeit von Lebens- oder Arbeitsbedingungen anhand der konkreten Bedingungen des Einzelfalls zu prüfen haben, sie können sich nicht darauf zurückziehen, dass nur (klassische) Freiheitsentziehungen wie z. B. Haftstrafen vom strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz erfasst werden können. Denn das Leben unter haftähnlichen Bedingungen oder Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen sind dem Gesetze nach der Freiheitsentziehung gleichgestellt.

Der Betroffene hatte nach einer Verurteilung durch das Stadtgericht von Berlin u. a. wegen des Vorwurfs des staatsgefährdenden Gewaltaktes und der Vorbereitung einer Republikflucht eine zweijährige Haftstrafe verbüßen müssen. Hierfür war er auch rehabilitiert worden. Er erhielt aber zudem ein sogenanntes Berlinverbot im Anschluss an die verbüßte Haft. Er war für mehrere Jahre verpflichtet, seinen Aufenthalt in Gröditz im Kreis Riesa zu nehmen und im dortigen Stahlwerk zu arbeiten. Der Betroffene sei aus der Haftanstalt durch Mitarbeiter der Stasi zwangsweise nach Gröditz verbracht worden. Ihm sei Gröditz als Aufenthaltsort und ein bestimmter, ungeeigneter Raum als Wohnung zugewiesen worden. Der Betroffene habe zwangsweise Arbeit im Stahlwerk leisten müssen, welche unter ständiger Bewachung erfolgt sei. Für den Fall des Verlassens von Wohnort oder Arbeitsplatz sei dem Betroffenen die erneute Inhaftierung angedroht worden. Während dieser Zeit sei es zu Ansprachen und Schikanen durch Stasi-Mitarbeiter gekommen. Der Betroffene sei ständig durch die Volkspolizei kontrolliert und durch die Stasi überwacht worden.

Die Rehabilitierungsgerichte hatten den Antrag auf Rehabilitierung aber unter Verweis darauf als unzulässig zurückgewiesen, dass die erzwungene Arbeit an einem bestimmten Ort und das sogenannte Berlinverbot nicht vom strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz erfasst würden. Die geschilderten Lebens- und Arbeitsbedingungen hätten jedenfalls nicht das Ausmaß einer Freiheitsentziehung erreicht. Es habe kein Leben und Arbeiten unter haftähnlichen Bedingungen vorgelegen. Die hiergegen erhobene (Landes-) Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Der Verfassungsgerichthof des Landes Berlin erkannte einen Verstoß gegen das Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 15 Abs. 4 der Verfassung von Berlin. Der substantielle Anspruch des Betroffenen auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle wurde dadurch verletzt, dass die Rehabilitierungsgerichte die Prüfung des Sachverhaltes auf die Zuweisung des Arbeitsplatzes, eines Wohn- und Aufenthaltsortes und des Berlinverbotes reduziert haben, ohne die vom Betroffenen angeführte strenge Überwachung und sonstige Sonderbehandlung zu berücksichtigen.

Haftähnliche Lebens- und Arbeitsbedingungen im Sinne des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes dürfen nicht bloß im technischen Sinne einer Freiheitsentziehung verstanden werden. Der Begriff der Haftähnlichkeit von Lebens- oder Arbeitsbedingungen sei noch nicht gesetzlich und gerichtlich abschließend geklärt worden. Nach der Gesetzesbegründung werde vielmehr ein Spannungsfeld eröffnet, welches eine streng überwachte Einschränkung der Bewegungsfreiheit, strenge polizeiliche Aufsicht, Absonderung von Dritten und entwürdigende Behandlung einschließe. Es müssten daher alle Umstände des Einzelfalls herangezogen und geprüft werden. Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hob deswegen die ablehnende Rehabilitierungsentscheidung auf und verwies die Sache zur erneuten Prüfung an das Kammergericht zurück.

Fundstellen: Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 23.08.2023, Az. 49/22; Kammergericht, Beschluss vom 19.04.2022, Az. 7 Ws 5/20 REHA; Landgericht Berlin, Beschluss vom 08.01.2020, Az. 551 Rh 62/19

Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem Urteil vom 19.10.2022, Az. BVerwG 8 C 15.21, zum verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsverfahren klargestellt, dass Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit durch Sicherheitsbehörden der DDR grundsätzlich verwaltungsrechtlich zu rehabilitieren sein können. Diese Eingriffe können nicht ohne weiteres als systembedingte Nachteile dem allgemeinen Schicksal der Bevölkerung der DDR zugerechnet werden. Eingriffe in die Rechtsgüter Leben und Gesundheit und in die körperliche Bewegungsfreiheit überschreiten demnach immer die Schwelle der für die Annahme einer Verfolgung erforderlichen Eingriffsintensität. Nur bei einer Beeinträchtigung anderer Rechte muss eine wertende Beurteilung vorgenommen und geprüft werden, ob derartige Eingriffe und Benachteiligungen systembedingt mehr oder weniger allgemeines DDR-Schicksal waren. Die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung setzt aber auch insoweit kein über eine ungleiche Betroffenheit hinausgehendes drastisches Sonderopfer voraus.

In dem von mir für den Kläger geführten Revisionsverfahren ging es u. a. um die Überwachung des Klägers durch Gesellschaftliche und Informelle Mitarbeiter der Stasi während seines Grundwehrdienstes bei der NVA, mehrere Festnahmen des Klägers durch Sicherheitsbehörden der DDR, die zum Teil der Durchsetzung eines gegen den Kläger verhängten Verbots privater Fotoausstellungen dienten. Eine weitere Festnahme erfolgte im Zusammenhang mit einem Rockkonzert am Brandenburger Tor, als der Kläger Fotos von weiteren Verhaftungen machte.

Die Überwachung durch Mitarbeiter und Informelle Mitarbeiter der Stasi während des Grundwehrdienstes stellte nach dem Urteil eine hoheitliche Maßnahme im Einzelfall dar, die individuell und konkret auf die Person des Klägers ausgerichtet war. Diese Bespitzelung stellte kein Allgemeinschicksal aller DDR-Bürger dar. Sie verstieß in schwerwiegender Weise gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Es wurde hierdurch in erheblicher Weise in die Persönlichkeitssphäre des Klägers eingegriffen und mit der operativen Kontrolle kein legitimes Ziel verfolgt. Dabei könne offen bleiben, ob die Maßnahme der politischen Verfolgung gedient habe, da sie jedenfalls willkürlich war. Die Überwachung durch die Staatssichert diente dazu, den Kläger unter Kontrolle zu halten und ihn zu selbstbelastenden Aussagen über mögliche Fluchtpläne zu verleiten.

Sämtliche Festnahmen stellten hoheitliche Maßnahmen im Einzelfall dar, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats unvereinbar waren, da sie als willkürlich anzusehen waren. Zudem war auch das ausgesprochene Verbot privater Fotoausstellungen nicht dem Bereich allgemeiner Beeinträchtigungen der DDR zuzuordnen. Eine solche Maßnahme geht über ein bloßes Ausstellungsverbot im Sinne einer zensierenden Kulturpolitik hinaus und erhält ihren rechtsstaatswidrigen Charakter durch die staatlicherseits hergestellte Verbindung zwischen bereits erlittener Haft, einem gegenüber dem Kläger ausgesprochenen Verbot privater Fotoausstellungen und der Androhung weiterer Haft im Falle der Zuwiderhandlung.

Fundstelle: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.10.2022, Az. BVerwG 8 C 15.21

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