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Nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz wird vermutet, dass die Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken diente, wenn eine Einweisung in ein Spezialheim oder in eine vergleichbare Einrichtung, in der eine zwangsweise Umerziehung erfolgte, stattfand. Diese Vermutung kann widerlegt werden. Allerdings divergiert die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu den Anforderungen an die Widerlegung dieser gesetzlichen Regelvermutung ganz erheblich.

Das Thüringer Oberlandesgericht in Jena hat nun in dem Beschluss vom 16.11.2020, Az. 1 Ws-Reha 6/17, festgestellt, dass diese Vermutung nicht schon durch die Benennung gängiger, nach der Verordnungslage und der wissenschaftlich belegten Rechtspraxis erwartbarer Anordnungsgründe in der Einweisungsentscheidung widerlegt wird.

Die Widerlegung setzt vielmehr die Feststellung atypischer, über eine Schwererziehbarkeit im vorbeschriebenen Sinne hinausgehender Umstände voraus, die die Maßnahme im konkreten Einzelfall ausnahmsweise nicht als rehabilitierungswürdiges (System-)Unrecht erscheinen lassen.

Das Thüringische Oberlandesgericht begründet das in dem Beschluss unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung wie folgt:

„Nur so lässt sich der mit der Gesetzesfassung begründeten Gefahr begegnen, dass Betroffene, deren Jugendhilfeakten noch vorhanden sind, auf Grundlage einer möglicherweise die tatsächlichen Anordnungsgründe verschleiernden Aktenlage schlechter gestellt werden als die, deren Akten nicht mehr aufgefunden werden können (ohne diese vom Gesetzgeber offenbar in Kauf genommene Konsequenz allerdings gänzlich ausschließen zu können).“

Das Thüringische Oberlandesgericht zieht den Schluss, dass die gesetzliche Vermutung nicht schon dann entkräftet ist, wenn sie durch den Beweis ihrer möglichen Unrichtigkeit nur erschüttert ist. Sie muss vielmehr durch den vollen Beweis ihres Gegenteils widerlegt sein, das Gericht muss also die Überzeugung vom Gegenteil der Vermutung gewinnen.

Fundstelle: Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 16.11.2020, Az. 1 Ws-Reha 6/17

Die neue Gesetzeslage im Rehabilitierungsrecht für DDR-Unrecht (vgl. Blogartikel „Neue Rehabilitierungsgesetze für DDR-Unrecht in Kraft“ vom 28.11.2019) führt mittlerweile auch zu einer veränderten Rechtsprechung. Das Oberlandesgericht Rostock hatte mit Beschluss vom 12.2.2020, Az. 22 Ws_Reha 2/20, über einen solchen Fall zu entschieden.
Das betroffene ehemalige Heimkind war in der DDR in das Durchgangsheim Schwerin und in den Jugendwerkhof „Hübner-Wesolek“ in Bernburg eingewiesen worden und hatte diesbezüglich seine Rehabilitierung nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz beantragt. Das Landgericht Schwerin lehnte den Antrag ab und verweigerte selbst die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Das Oberlandesgericht hatte über die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Schwerin zu entscheiden und kam zu dem Ergebnis, dass die ablehnende Entscheidung des Landgerichts nach dem damals geltenden (alten) Recht rechtmäßig gewesen sei, nunmehr aber nach der Gesetzesänderung eine Rehabilitierung zu erfolgen habe. Das Oberlandesgericht hob daher die Entscheidung des Landgerichts Schwerin auf und rehabilitierte die Antragstellerin vollständig.
Nach der neuen Rechtslage gilt eine Regel nach der vermutet wird, dass Einweisungen in ein Spezialheim oder in eine vergleichbare Einrichtung der politischen Verfolgung oder sachfremden Zwecken dienten. Dem ehemaligen Heimkind eines Spezialheims wird damit die Beweisführung erleichtert. Im vorliegenden Fall hatte die Jugendhilfekommission, die Einweisung u. a. mit angeblichen Erziehungsschwierigkeiten der betroffenen Person begründet. Das reicht aber nicht aus, um die neue Regelvermutung zu entkräften, zumal gegen die betroffene Person wegen der Nichtanzeige einer geplanten Republikflucht ermittelt worden war. Das Strafverfahren gegen die betroffene Person war von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden, weil die Jugendhilfe Maßnahmen gegen die Betroffene eingeleitet hatte. Eine politische Motivation der Heimeinweisung lag mithin nahe.
Das Oberlandesgericht hat in dem Beschluss zudem klargestellt, dass unter die neu eingeführte Vermutungsregel auch Durchgangsheime und Jugendwerkhöfe fallen. Prozesskostenhilfe wurde nachträglich für beide Instanzen bewilligt.

Fundstelle: Oberlandesgericht Rostock, Beschluss vom 12.02.2020, Az. 22 Ws_Reha 2/20

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 22. Dezember 2011, Az. 2 StR 509/10, ein Urteil des Landgerichts Köln (LG Köln) aufgehoben, das LG Köln hatte ein von der Polizei abgehörte Selbstgespräch des Angeklagten zu dessen Überführung rechtswidrig verwertet. Der Angeklagte war vom LG Köln zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt worden. Der Fall muss nun neu verhandelt werden. Nach den Ausführungen in der Presseerklärung des Bundesgerichtshofs stand der Verurteilung ein aus der Verfassung abgeleitetes absolutes Verwertungsverbot entgegen. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG schützen den Kernbereich der Persönlichkeit.

Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits mit Urteil vom 14. September 1989, Az. 2 BvR 1062/87, entschieden, dass tagebuchähnliche Aufzeichnungen eines Beschuldigten unter Umständen im Strafverfahren als Beweismittel ausscheiden können. Im konkreten Fall war die Verwertung des Tagebuchs als Beweismittel jedoch verfassungsgemäß, das Bundesverfassungsgericht konnte eine Verfassungswidrigkeit wegen Stimmgleichheit nicht feststellen, denn vier Verfassungsrichter stimmten für ein Verwertungsverbot, vier dagegen. Das Bundesverfassungsgericht erkennt aber grundsätzlich einen letzten unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung an, der der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen ist, da der Kern der Persönlichkeit durch die unantastbare Würde des Menschen geschützt werde. Selbst schwerwiegende Interessen der Allgemeinheit können Eingriffe in diesen Bereich nicht rechtfertigen, eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes findet insoweit nicht statt. Tagebuchaufzeichnungen können nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts über die Rechtssphäre des Verfassers allerdings hinausweisen und Belange der Allgemeinheit berühren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.06.2008, Az. 2 BvR 219/08). Das Bundesverfassungsgericht führte in dem Beschluss vom 03.03.2004, Az. 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99, Rn. 137, zum großen Lauschangriff aus: „Aufzeichnungen oder Äußerungen im Zwiegespräch, die zum Beispiel ausschließlich innere Eindrücke und Gefühle wiedergeben und keine Hinweise auf konkrete Straftaten enthalten, gewinnen nicht schon dadurch einen Gemeinschaftsbezug, dass sie Ursachen oder Beweggründe eines strafbaren Verhaltens freizulegen vermögen. Ein hinreichender Sozialbezug besteht demgegenüber bei Äußerungen, die sich unmittelbar auf eine konkrete Straftat beziehen.“ Nur insoweit nimmt das Bundesverfassungsgericht dann regelmäßig doch eine Interessenabwägung vor.

Der Bundesgerichtshof hatte bereits mit Urteil vom 10.08.2005, Az. 1 StR 140/05, entschieden, dass Selbstgespräche unter Umständen nicht verwertet werden können. Der damalige Angeklagte war bei einem Klinikaufenthalt in seinem Einzelzimmer abgehört wurden, wobei dessen Selbstgespräche waren minutiös aufgezeichnet worden waren. Die Verwertung schied wegen Verstoßes gegen Vorschriften des Strafprozessordnung (§ 100c StPO) aus, weil das damals geführte Selbstgespräch dem durch Art. 13 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen war. Der Bundesgerichtshof nahm damals eine Abwägung vor, die im Ergebnis zu einem absoluten Verwertungsverbot führte. Maßgebend war, dass es sich um ein aufgrund einer staatlichen Überwachungsmaßnahme aufgezeichnetes Selbstgespräch handelte,  es in einem hier von Art. 13 GG geschützten Wohnraum geführt wurde und dessen Inhalt in Bezug auf den Tatvorwurf interpretationsbedürftig war. Entscheidend war somit u. a. dass auch das Krankenzimmer in den Schutzbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) zugerechnet wurde. Danach hat das das Selbstgespräch ausschließlich höchstpersönlichen Charakter und berührt aus sich heraus nicht die Sphäre anderer oder der Gemeinschaft.

Diese Rechtsprechung scheint sich der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner aktuellen Entscheidung fortzusetzen, die Begründung des Urteils wurde allerdings noch nicht veröffentlicht. Aus der Pressemitteilung geht aber bereits hervor, dass der BGH daran festhält, dass nicht jedes Selbstgespräch einem Verwertungsverbot unterliegt. Maßgebend für das Vorliegen eines Verwertungsverbots sei, dass die Äußerungen nichtöffentlich und ohne kommunikativen Bezug getätigt wurden. Zudem muss Unbewusstheit der verbalen Äußerung möglich sein und die Identität der Äußerung mit den inneren Gedanken anzunehmen sein. Weiteres Kriterium ist laut BGH die „Äußerungsform als bruchstückhafter, auslegungsfähiger oder –bedürftiger Ausschnitt eines Gedankenflusses“. Liegen diese Kriterien vor, so soll ein absolutes Verwertungsgebot des Selbstgesprächs auch außerhalb des besonderen Schutzbereichs der eigenen Wohnung gegeben sein.

Fundstellen: Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Dezember 2011, Az. 2 StR 509/10; Urteil vom 10.08.2005, Az. 1 StR 140/05, Presseerklärung vom 22.12.2011; Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 14. September 1989, Az. 2 BvR 1062/87;  Beschluss vom 03.03.2004, Az. 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99, Beschluss vom 26.06.2008, Az. 2 BvR 219/08

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