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Die gesetzliche Vermutung der politischen Verfolgung und des sachfremden Einweisungsgrundes für Spezialheime und Jugendwerkhöfe beschäftigt weiterhin die Gerichte. In einem vom Brandenburgischen Oberlandesgericht entschiedenen Fall ging es um die Rehabilitierung eines Heimkindes, welches in einem Spezialkinderheim untergebracht worden war.

Das Landgericht Potsdam konnte die Gründe der Einweisung nicht mehr vollständig aufzuklären, da die Unterlagen aus dem Anordnungsverfahren nicht mehr auffindbar waren. Aus zwei Schulzeugnissen aus der Zeit vor der Einweisung ging zwar hervor, dass die Betroffene Schwierigkeiten habe die schulischen und außerschulischen Aufgaben zu erfüllen und dass sie im Unterricht störe. Sie habe erhebliche Fehlzeiten in der Schule, sie habe im Schuljahr an 80 Tagen gefehlt, wovon 74 Tage unentschuldigt waren. Die schulischen Leistungen wurden dagegen mit Noten zwischen „genügend“ und „sehr gut“ bewertet.

Das Landgericht konnte keine spezifischen Umstände erkennen, die gerade die Unterbringung im Spezialheim gerechtfertigt hätte. Es kämen auch Gründe für die Heimeinweisung in Betracht, die nicht allein in der Person der betroffenen Antragstellerin gelegen haben. Das Landgericht rehabilitierte die Betroffene daher für die Zeit der Unterbringung im Spezialkinderheim.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam hatte gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt, um zu klären, ob eine massive Verletzung der Schulpflicht als Tatsache anzuerkennen ist, die die gesetzliche Vermutung der politischen Verfolgung oder die Vermutung eines sachfremden Einweisungsmotivs aus § 10 Abs. 3 StrRehaG widerlegt.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht verneinte diese Frage in dem Beschluss vom 07.01.2021, da im vorliegenden Fall nicht positiv festgestellt werden konnte, dass die Heimeinweisung fürsorglich bedingt war. Hierfür hätte das Landgericht nämlich auch feststellen müssen, dass die Unterbringung im Normalkinderheim nicht ausreichend gewesen wäre.

Fundstellen: Landgericht Potsdam, Beschluss vom 22.06.2020, Az. 2 Reha 15/18; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 07.01.2021, Az. 2 Reha 15/20

Nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz wird vermutet, dass die Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken diente, wenn eine Einweisung in ein Spezialheim oder in eine vergleichbare Einrichtung, in der eine zwangsweise Umerziehung erfolgte, stattfand. Diese Vermutung kann widerlegt werden. Allerdings divergiert die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu den Anforderungen an die Widerlegung dieser gesetzlichen Regelvermutung ganz erheblich.

Das Thüringer Oberlandesgericht in Jena hat nun in dem Beschluss vom 16.11.2020, Az. 1 Ws-Reha 6/17, festgestellt, dass diese Vermutung nicht schon durch die Benennung gängiger, nach der Verordnungslage und der wissenschaftlich belegten Rechtspraxis erwartbarer Anordnungsgründe in der Einweisungsentscheidung widerlegt wird.

Die Widerlegung setzt vielmehr die Feststellung atypischer, über eine Schwererziehbarkeit im vorbeschriebenen Sinne hinausgehender Umstände voraus, die die Maßnahme im konkreten Einzelfall ausnahmsweise nicht als rehabilitierungswürdiges (System-)Unrecht erscheinen lassen.

Das Thüringische Oberlandesgericht begründet das in dem Beschluss unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung wie folgt:

„Nur so lässt sich der mit der Gesetzesfassung begründeten Gefahr begegnen, dass Betroffene, deren Jugendhilfeakten noch vorhanden sind, auf Grundlage einer möglicherweise die tatsächlichen Anordnungsgründe verschleiernden Aktenlage schlechter gestellt werden als die, deren Akten nicht mehr aufgefunden werden können (ohne diese vom Gesetzgeber offenbar in Kauf genommene Konsequenz allerdings gänzlich ausschließen zu können).“

Das Thüringische Oberlandesgericht zieht den Schluss, dass die gesetzliche Vermutung nicht schon dann entkräftet ist, wenn sie durch den Beweis ihrer möglichen Unrichtigkeit nur erschüttert ist. Sie muss vielmehr durch den vollen Beweis ihres Gegenteils widerlegt sein, das Gericht muss also die Überzeugung vom Gegenteil der Vermutung gewinnen.

Fundstelle: Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 16.11.2020, Az. 1 Ws-Reha 6/17

Die neue Gesetzeslage im Rehabilitierungsrecht für DDR-Unrecht (vgl. Blogartikel „Neue Rehabilitierungsgesetze für DDR-Unrecht in Kraft“ vom 28.11.2019) führt mittlerweile auch zu einer veränderten Rechtsprechung. Das Oberlandesgericht Rostock hatte mit Beschluss vom 12.2.2020, Az. 22 Ws_Reha 2/20, über einen solchen Fall zu entschieden.
Das betroffene ehemalige Heimkind war in der DDR in das Durchgangsheim Schwerin und in den Jugendwerkhof „Hübner-Wesolek“ in Bernburg eingewiesen worden und hatte diesbezüglich seine Rehabilitierung nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz beantragt. Das Landgericht Schwerin lehnte den Antrag ab und verweigerte selbst die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Das Oberlandesgericht hatte über die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Schwerin zu entscheiden und kam zu dem Ergebnis, dass die ablehnende Entscheidung des Landgerichts nach dem damals geltenden (alten) Recht rechtmäßig gewesen sei, nunmehr aber nach der Gesetzesänderung eine Rehabilitierung zu erfolgen habe. Das Oberlandesgericht hob daher die Entscheidung des Landgerichts Schwerin auf und rehabilitierte die Antragstellerin vollständig.
Nach der neuen Rechtslage gilt eine Regel nach der vermutet wird, dass Einweisungen in ein Spezialheim oder in eine vergleichbare Einrichtung der politischen Verfolgung oder sachfremden Zwecken dienten. Dem ehemaligen Heimkind eines Spezialheims wird damit die Beweisführung erleichtert. Im vorliegenden Fall hatte die Jugendhilfekommission, die Einweisung u. a. mit angeblichen Erziehungsschwierigkeiten der betroffenen Person begründet. Das reicht aber nicht aus, um die neue Regelvermutung zu entkräften, zumal gegen die betroffene Person wegen der Nichtanzeige einer geplanten Republikflucht ermittelt worden war. Das Strafverfahren gegen die betroffene Person war von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden, weil die Jugendhilfe Maßnahmen gegen die Betroffene eingeleitet hatte. Eine politische Motivation der Heimeinweisung lag mithin nahe.
Das Oberlandesgericht hat in dem Beschluss zudem klargestellt, dass unter die neu eingeführte Vermutungsregel auch Durchgangsheime und Jugendwerkhöfe fallen. Prozesskostenhilfe wurde nachträglich für beide Instanzen bewilligt.

Fundstelle: Oberlandesgericht Rostock, Beschluss vom 12.02.2020, Az. 22 Ws_Reha 2/20

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