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Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in dem von mir für den Antragsteller geführten Verfassungsbeschwerdeverfahren mit Beschluss vom 02.05.2016 entschieden, dass ein Gericht gegen die durch die Verfassung verbürgte Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Absatz 1 i. V. m. Art. 20 Absatz 3 GG) verstößt, wenn es überspannte Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines Antrages auf Prozesskostenhilfe anlegt. Die Erhebung von Gebühren für eine Anhörungsrüge im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren stellt zudem einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) dar.

Der Antragsteller hatte seine Rehabilitierung wegen DDR-Unrechts bezüglich seiner Einweisung in das Spezialkinderheim „Blücherhof“ nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) beantragt. Die Heimeinweisung war damals lediglich allgemein mit groben Disziplinarverstößen, einer  unzureichenden Lernbereitschaft, einem unbeherrschten Auftreten und einer Außenseiterstellung im Klassenkollektiv begründet worden. Wobei als Ursachen für das angebliche Verhalten des Kindes ein nicht immer genügend abgestimmtes einheitliches Erziehungsverhalten und eine fehlende pädagogischer Konsequenz der Eltern angegeben wurde.

Der Antrag auf Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit der Heimeinweisung wurde vom Landgericht Neubrandenburg abgelehnt. Das Oberlandesgericht Rostock lehnte die dagegen eingelegte Beschwerde ab. Zudem wurde der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Für die gegen die Beschwerdeentscheidung erhobene Anhörungsrüge erhob das Oberlandesgericht eine Gebühr in Höhe von 60,00 €.

Das Bundesverfassungsgericht stellt in der Entscheidung vom 02.05.2016 nunmehr fest, dass die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe durch das Oberlandesgericht Rostock auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruht. Das Oberlandesgericht hatte zur Begründung der Versagung der Prozesskostenhilfe darauf abgestellt, dass die Vorinstanz den Rehabilitierungsantrag mit zutreffender Begründung abgelehnt habe. In der Beschwerdeinstanz seien keine grundsätzlich neuen Tatsachen vorgebracht worden. Der Beschwerdeführer habe lediglich eine abweichende rechtliche Bewertung vorgetragen, weshalb die Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht abzulehnen war.

Nach der zutreffenden Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, hat das Oberlandesgericht Rostock damit die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der Beschwerde überspannt. Denn bei objektiver Betrachtung lagen hier gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass die Heimeinweisung in einem groben Missverhältnis zu ihrem Anlass stand und dass der Heimeinweisung ein sachfremder Zweck zugrunde lag. Daher war hier eine umfangreiche Würdigung der Sach- und Rechtslage veranlasst. Die Annahme fehlender Erfolgsaussichten im Rahmen der Prozesskostenhilfegewährung war demgemäß als grundrechtswidrig anzusehen.

Zudem verstößt die Erhebung einer Gebühr für die Anhörungsrüge im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren gegen das Willkürverbot. Das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz ordnet ganz eindeutig die Kostenfreiheit des Verfahrens an (vgl. § 14 Abs. 1 StrRehaG). Das Oberlandesgericht hatte dennoch argumentiert, dass das Verfahren über die Anhörungsrüge ein selbstständiges Verfahren sei, das nicht mehr dem strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren zuzurechnen sei.

Das Bundesverfassungsgericht führt zu dieser Gesetzesauslegung des Oberlandesgerichts Rostock zutreffend aus: „Die gegenläufige Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar. Der vom Oberlandesgericht für das Anhörungsrügeverfahren erhobenen Gerichtsgebühr fehlt es bereits an einer rechtlichen Grundlage.“

Fundstellen: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 02.05.2016, Az. 2 BvR 1267/15; Oberlandesgericht Rostock, Beschluss vom 22.06.2015, Az. 22 Ws_Reha 22/15; Beschluss vom 29.05.2015, Az. 22 Ws_Reha 22/15; Landgericht Neubrandenburg, Beschluss vom 11.11.2014, Az. 63 Rh 48/14

Heimkinder aus der DDR können sich bekanntlich für ihre Einweisung rehabilitieren lassen, wenn sie Opfer politischer Verfolgung waren oder wenn der Heimeinweisung sachfremde Erwägungen bzw. ein grobes Missverhälrnis zugrunde lagen. Die für die Rehabilitierungen zuständigen Kammern der Landgerichte neigen dazu, die Prüfung der Rechtsstaatlichkeit auf den Einweisungsbeschluss zu beschränken. Insoweit klärt der Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 16.05.2014 die Frage, ob auch ein bereits in ein Wohnheim eingewiesenes Kind für eine Verlegung aus einem Spezialkinderheim in einen Jugendwerkhof rehabilitiert werden kann. In dem zu verhandelnden Fall war die Verlegung durch die Aufdeckung einer versuchten Republikflucht des Betroffenen veranlasst worden. Er soll der Hauptinitiator einer geplanten Durchbrechung der Staatsgrenze nach Westdeutschland gewesen sein, bei der zehn weitere Jugendliche mitwirken sollten. Die poltisch-ideologische Haltung des Antragstellers wurde als ausgesprochen staatsfeindlich bezeichnet. Der Antragssteller soll daneben in dem Spezialkinderheim durch Normverstöße gegen die Hausordnung, Sachbeschädigungen, Zerstörungen, Entweichungen, Alkoholmissbrauch und deliktische Handlungen aufgefallen sein. Das Landgericht Erfurt hatte den Antragsteller für die Verlegung in den Jugendwerkhof wegen der versuchten Republikflucht rehabilitiert und die Anordnung der Unterbringung in einem Jugendwerkhof für rechtsstaatswidrig erklärt. Die Staatsanwaltschaft hatte beantragt, die Rehabilitierung abzulehnen und gegen den Beschluss des Landgerichts Erfurt Beschwerde eingereicht. Die Staatsanwaltschaft argumentierte in der Beschwerde u. a., dass der Antragsteller wegen seiner im Spezialkinderheim gezeigten Verhaltensauffälligkeiten früher oder später ohnehin in einen Jugendwerkhof verlegt worden wäre. Die geplante Republikflucht sei lediglich letzter Anlass der Unterbringung in dem Jugendwerkhof gewesen. Die Freiheit sei dem Betroffenen zudem bereits zuvor durch die Einweisung in das Spezialkinderheim entzogen worden. Das Thüringer Oberlandesgericht hat die Beschwerde der Staatsanwaltschaft mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Anordnung der Unterbringung in dem Jugendwerkhof „ohne jeden Zweifel Ausdruck einer politischen Verfolgung des Betroffenen“ war, „denn sie war die ‚von den Sicherheitsorganen verlangte‘ Reaktion auf die zuvor aufgedeckte Vorbereitung eines ungesetzlichen Grenzübertritts (Republikflucht)“. Ob der Betroffene aus anderen Gründen in den Werkhof verlegt worden wäre oder in dem Spezialkinderheim geblieben wäre, ist nach der Entscheidung unbeachtlich, weil es sich bei diesen hypothetischen Erwägungen um Reserveursachen handelt, die bei der Entscheidung keine Rolle spielen dürfen.

Auch bei einer Verlegung von einem Normalkinderheim in ein Spezialkinderheim wegen des Vorwurfes der Republikflicht nimmt das Thüringer Oberlandesgericht eine Rehabilitierung des Betroffenen vor (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 01.06.2011, Az. 1 Ws Reha 11/11 | 1 Reha 117/10 LG Erfurt).

Fundstellen: Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 16.05.2014, Az. Ws Reha 21/14 | 1 Reha 122/13 Landgericht Erfurt; Beschluss vom 01.06.2011,  Az. 1 Ws Reha 11/11 | 1 Reha 117/10 LG Erfurt

Der Fond „Heimerziehung in der DDR“ wird von ursprünglich 40 Millionen auf 200 Millionen Euro aufgestockt, wie das Bundeskabinett am 09.07.2014 zusammen mit den ostdeutschen Bundesländern beschlossen hat. Betroffene ehemalige Heimkinder erhalten Unterstützung aus dem Fond für erlittenes Unrecht und Leid in den DDR-Heimen.  Aus dem Fond kann für die Traumatisierungen, Beeinträchtigungen und Folgeschäden Hilfe gewährt werden. Benachteiligungen in der Rentenversicherung können beispielsweise ausgeglichen werden. Ehemalige Heimkinder sollen zudem bei der Aufarbeitung unterstützt werden. Die Forderungen ehemaliger Heimkinder müssen allerdings bis zum 30.09.2014 angemeldet werden. Neben dem Hilfefond besteht für ehemalige DDR-Heimkinder in geeigneten Fällen auch die Möglichkeit die Heimeinweisung nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz für rechtsstaatswidrig erklären zu lassen.

Fundstellen: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Pressemitteilung vom 09.07.2014

Immer wieder weigern sich die Jobcenter Kosten von selbstständigen Beziehern von Hartz IV anzuerkennen, die aufstockende Leistungen erhalten. Ein Hauptproblem ist dabei, dass die sozialrechtliche Sichtweise von den steuerrechtlichen Vorschriften abgekoppelt ist. Es kann also durchaus sein, dass Betriebsausgaben steuerrechtlich als Kosten anerkannt werden, während sie sozialrechtlich nicht geltend gemacht werden können. Nun hat das Bundessozialgericht einen derartigen Fall zu entscheiden gehabt und klargestellt, dass grundsätzlich auch Leasingraten für ein Kraftfahrzeug der unteren Mittelklasse neben dem Pauschbetrag angesetzt werden können. Das gilt selbst dann, wenn die Einkünften des Hilfsbedürftigen 400,00 € nicht übersteigen. Entscheidend ist -wie so oft- eine Einzelfallprüfung. Bei den Fahrtkosten soll man allerdings zwischen den Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte und weiteren darüber hinausgehenden Fahrten differenzieren müssen, nur letztere sollen (sozialrechtlich) als Betriebsausgaben berücksichtigungsfähig sein. Handykosten sollen nach der Entscheidung bereits von der Erwerbstätigenpauschale umfasst sein.

Fundstellen: Bundessozialgericht, Beschluss vom 05.06.2014, Az. B 4 AS 31/13 R, Pressemitteilung Nr. 14/14

Eine überaus lesenswerte Prozessdokumentation hat der Kollege Jochen Thielmann aus Wuppertal über die Strafverfahren gegen mehrere Fans des Wuppertaler Sportvereins in der Maiausgabe der Online-Zeitschrift „Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht“ (HRR-Strafrecht) veröffentlicht. Anlässlich eines Fußballspiels zwischen Rot Weiß Essen und dem Wuppertaler SV sollen die dreizehn beschuldigten Fans Anhänger des gegnerischen Fußballvereins im Essener Bahnhof angegriffen haben. Der Lebenssachverhalt und die Beweislage waren für alle Beschuldigten identisch, der Strafvorwurf lautete auf Landfriedensbruch. War der Ausgangspunkt und die Beweislage auch für alle Beschuldigten gleich, so variierten die Resultate der Verfahren in einem erheblichen Ausmaß. Ein Verfahren wurde wegen fehlender geeigneter Beweismittel nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Der erste Angeklagte wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, die nächsten beiden Angeklagten wurden jeweils zu sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Alle bis zu diesem Zeitpunkt Angeklagten versuchten sich selbst ohne Hilfe eines Rechtsanwalts zu verteidigen. Von den weiteren -nun jeweils von einem Verteidiger unterstützten- Angeklagten erhielt einer ebenfalls eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten und einer eine Geldstrafe, beide Urteile wurden mit der Berufung angegriffen und vom Landgericht in der zweiten Instanz eingestellt. Die Verfahren gegen andere Beschuldigte wurden wegen geringer Schuld teilweise mit teilweise ohne Auflagen eingestellt. In einem Fall wurden sogar die Verteidigerkosten der Staatskasse auferlegt. Drei Angeklagte wurden freigesprochen. Diese unterschiedlichen und mittlerweile rechtskräftigen Ergebnisse der jeweiligen Strafverfahren sind bereits bitter genug. Aber die vom Kollegen Thielmann geschilderten Fälle weisen noch andere Probleme und einige Kuriositäten auf:

Die Aussagen der beiden Polizeibeamten als Hauptbelastungszeugen variierten in den Verfahren offenbar erheblich, die Belastungstendenz nahm offenbar mit der Anwesenheit von Verteidigern bei den Gerichtsverhandlungen ab. Zwei der von zwei unterschiedlichen Richtern verfasste Urteile wiesen exakt denselben Wortlaut auf, hier hatte anscheinend eine Richterin die Urteilsbegründung eines anderen Richters komplett abgeschrieben. Die Staatsanwaltschaft legte nur gegen einen der drei Freisprüche Berufung ein. Auch diese Berufung wurde zurückgenommen. Der Fall zeigt demnach eine Fülle von Problemen, die wohl jeder Verteidiger aus dem Alltag kennt, wie z. B. dass Angeklagte, die eigentlich freizusprechen wären, zu einer Einstellung gedrängt werden, dass Anträge auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers trotz schwieriger Beweislage mit floskelhaften Begründungen abgelehnt werden und dass die Strafhöhe je nach Kammer erheblich variieren kann. Zudem wird die Befürchtung bestärkt, dass Angeklagte ohne kompetenten Verteidiger ihre Rechte in dem Verfahren nicht effektiv durchsetzen können. Insoweit kann man nur hoffen, dass eine Regelung zur Prozesskostenhilfe für Beschuldigte im Strafverfahren -wie sie auf europäischer Ebene diskutiert wird- möglichst bald eingeführt wird. Aber lesen Sie selbst: „Wehret den Anfängen – oder: Vom missglückten Versuch, ein Exempel zu Statuieren“ von Jochen Thielmann.

Fundstelle: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Jochen Thielmann in HRR-Strafrecht, Heft 5/2014, S. 179 – 184, „Wehret den Anfängen – oder: Vom missglückten Versuch, ein Exempel zu Statuieren“

Das Landgericht Berlin hat einen Chirurgen im dritten Anlauf wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe und vier Jahren Berufsverbot verurteilt. Eine Patientin des angeklagten Arztes war im Anschluss an eine Schönheitsoperation in einem Krankenhaus verstorben, weswegen der Arzt zunächst vom Landgericht Berlin wegen Körperverletzung mit Todesfolge und versuchtem Totschlag zu vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe und vier Jahren Berufsverbot verurteilt worden war (Nach dem Urteil sollte allerdings ein Jahr der verhängten Freiheitsstrafe wegen der überlangen Verfahrensdauer als bereits vollstreckt gelten). Dieses Urteil wurde vom Bundesgerichtshof auf Revision des Arztes ebenso aufgehoben wie die anschließende Verurteilung durch eine andere Kammer des Landgerichts Berlin wegen Körperverletzung mit Todesfolge und versuchtem Mord (durch Unterlassen) zu sieben Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe sowie fünf Jahren Berufsverbot. Die dritte Verurteilung durch das Landgericht Berlin ist nun rechtskräftig geworden, der Bundesgerichtshof hat die gegen das Urteil gerichtete Revision des Angeklagten laut Pressemitteilung vom 25.03.2014 mit Beschluss vom 10.03.2014, Az. 5 StR 51/14, als unbegründet verworfen. Der Fall warf aufgrund des zeitlich komplexen Geschehensablaufes vor allem im Hinblick auf einen von den Gerichten zu prüfenden, möglichen bedingten Tötungsvorsatz des Chirurgen erhebliche Schwierigkeiten auf (vgl. Blogartikel vom 16.09.2012: „BGH hebt die Verurteilung eines Schönheitschirurgen durch das Landgericht Berlin erneut auf“).

Fundstellen: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.03.2014, Az. 5 StR 51/14; Pressemitteilung Nr. 52/2014

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in dem Beschluss vom 18.02.2014, Az. StB 8/13, klargestellt, dass dem Verteidiger ein Zeugnisverweigerungsrecht auch im Hinblick auf ein Anbahnungsgespräch mit seinem Mandanten zusteht und abgehörte und aufgezeichnete Telefonate über dieses Gespräch unverzüglich gelöscht werden müssen. Unter einem Anbahnungsgespräch versteht man das Erstgespräch zur Kontaktaufnahme zwischen Verteidiger und Mandanten, um  zu klären, ob der Beschuldigte den Verteidiger mandatieren und der Rechtsanwalt das Mandat annehmen will. Der BGH hat klargestellt, dass auch das Anbahnungsgespräch einem absoluten Beweiserhebungs- und Verwendungsverbot unterliegt. Dem Verteidiger steht nämlich ein Zeugnisverweigerungsrecht über jede Information zu, die ihm in der erkennbaren Erwartung des Stillschweigens in funktionalem Zusammenhang mit seiner Berufsausübung zur Kenntnis gelangt. In dem vom Gericht zu entschiedenen Fall, wurde der Telefonanschluss eines Beschuldigten durch das Bundeskriminalamt abgehört, als ein Rechtsanwalt den Anschluss des Beschuldigten anrief und zwei Telefonate führte. In dem zweiten Gespräch  bot der Rechtsanwalt an, den Beschuldigten in dem Ermittlungsverfahren zu verteidigen. Gegen den Beschuldigten wurde wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland ermittelt. Der Bundesgerichtshof entschied zudem, dass die Ermittlungsbehörden die Aufzeichnungen über die Telefonate unverzüglich zu löschen gehabt hätten. Der Bundesgerichtshof argumentiert überzeugend, dass ein Beschuldigter, der auf der Suche nach einem Verteidiger ist, jedem Rechtsanwalt, mit dem er zu diesem Zweck kommuniziert, typischerweise das Vertrauen entgegen bringt, dass der Inhalt dieser Gespräche vertraulich behandelt wird, unabhängig davon, ob anschließend ein Verteidigungsverhältnis zustande kommt. Es ist auch unerheblich, dass im konkreten Fall die Initiative zum Anbahnungsgespräch vom Rechtsanwalt selbst ausging, da dessen Zeugnisverweigerungsrecht allein vom Vernehmungsgegenstand und nicht von seiner Beziehung zum Beschuldigten abhängt. Nach dem Beschluss des Bundesgerichtshof ist im Übrigen auch eine Sperrung der Telefonate nicht ausreichend, es kommt nur die tatsächliche (und unverzügliche) Löschung der Aufzeichnungen in Frage.

Fundstellen: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.02.2014, Az. StB 8/13; Pressemitteilung Nr. 46/2014

Eine Bewerberin wurde von der Berliner Polizei mit der Begründung abgelehnt, dass ihr aufgrund ihrer Brustimplantate die gesundheitliche Eignung für den Polizeidienst fehle. Zu Unrecht entschied das Verwaltungsgericht Berlin nun mit Urteil vom 22.01.2014, Az. VG 7 K 117.13. Denn  typische Polizeieinsätze und das Tragen der Schutzkleidung stellen keine Gesundheitsgefährdung für eine Polizistin mit Brustimplantaten dar, die  eine Frühpensionierung oder lange Erkrankungszeiten überwiegend wahrscheinlich mache.

Fundstellen: Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 22.01.2014, Az. VG 7 K 117.13, Pressemitteilung Nr. 16/2014

In Berlin legt die Wohnaufwendungenverordnung (WAV) die Höhe der angemessenen Miete für Bezieher von Hartz IV fest. Die dort festgelegten Mietrichtwerte werden zum 01.03.2014 erhöht. Danach gelten für einen Einpersonenhaushalt für Miete und Heizung 423,00 € als angemessen. Die Miete muss daher grundsätzlich bis zu diesem Betrag vom Jobcenter übernommen werden. Die Richtwerte variieren je nach Heizungsart und Gebäudefläche. Für vier Personen steigt die vom Jobcenter übernommene Miete von 669,00 € auf 683,00 € (bei Fernwärme).

Fundstellen: Pressemitteilung vom 11.02.2014, Wohnaufwendungenverordnung (WAV)

Auch 2013 war die Erfolgsquote der Gerichtsverfahren gegen die Jobcenter beim Sozialgericht  Berlin hoch. 54 % der Verfahren hatten zumindest teilweisen Erfolg. Die Präsidentin des Sozialgerichts Berlin fordert daher die Arbeitsqualität der Jobcenter zu steigern. Hauptstreitpunkte vor Gericht waren Rückforderungsbescheide wegen zu viel gezahlter Leistungen, Leistungskürzungen aufgrund von Sanktionen und die fehlerhafte Anrechnung von Einkommen. Zudem waren die Betroffenen in jedem vierten Hartz IV – Verfahren auf einen Antrag auf Eilrechtsschutz angewiesen. 2013 gingen 26.594 neue Hartz IV – Verfahren beim Sozialgericht Berlin ein, 2012 waren es noch 28.666 (vgl. auch Blogartikel vom 15.01.2013:  „Flut rechtswidriger Hartz-IV-Bescheide hält an – Hartz IV für EU-Angehörige“).

Fundstelle: Sozialgericht Berlin, Pressemitteilung vom 14.01.2014

Abmahnungen einer Anwaltskanzlei wegen des Betrachtens eines Videostreams der Homepage „Redtube.com“ haben ein erhebliches Medieninteresse geweckt. Die Frage, ob das reine Betrachten eines Videostreamings eine Urheberrechtsverletzung darstellt, ist bislang nicht höchstgerichtlich geklärt. Das Bundesjustizministerium hat nun als Antwort auf eine kleine Anfrage von Abgeordneten der Fraktion „DIE Linke“ dargelegt, weshalb die Bundesregierung das reine Betrachten eines Videostreams für legal hält. Das Ministerium für Justiz sieht im Betrachten des Streams bereits eine zulässige Vervielfältigung, da die Datenübertragung beim Anschauen eines Streams als nur flüchtig oder begleitend anzusehen ist und einen integralen Teil des technischen Verfahrens zum alleinigen Zweck der Übertragung des Werks darstellt  (§ 44a UrhG). Jedenfalls scheidet eine Urheberrechtsverletzung dann aus, wenn die Vervielfältigung des Werkes zum privaten Gebrauch erfolgt und die Vorlage nicht offensichtlich rechtswidrig hergestellt oder öffentlich zugänglich gemacht wurde (§ 53 UrhG). Die Bundesregierung weist zudem darauf hin, dass der Abgemahnte grundsätzlich für eine unberechtigte oder unwirksame Abmahnung Ersatz seiner für die Rechtsverteidigung erforderlichen Kosten verlangen kann (§ 97a Abs. 4 UrhG). Das Abmahnen von Betrachtern eines Videostreams wird sogar zum Teil selbst als strafbar angesehen (hierzu überzeugend: „Juristische Analyse: Streaming-Abmahnungen jenseits der roten Linie“ von Ulf Burmeyer auf heise online, sowie mein Blogeintrag vom 13.12.2013: „Inkassoanwalt wegen Mahnschreiben zu Bewährungsstrafe wegen Nötigung verurteilt“).

Fundstellen: Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz, Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Halina Wawzyniak, Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder u. a. und der Fraktion „DIE Linke“, Bundestags-Drucksache NR. 18/195

Außendienstmitarbeitern in den bezirklichen Ordnungsämtern Berlins stehen höhere Gehälter zu, das hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LArbG Berlin-Brandenburg) mit den Urteilen vom 06.12.2013, Az. 10 Sa 1338/13, 10 Sa 1339/13, dem Urteil vom 19.12.2013, Az. 14 Sa 1245/13 und dem Urteil vom 20.12.2013, Az. 12 Sa 1340/13, entschieden. Die Ordnungsamtsmitarbeiter wurden vom Bezirksamt in die Entgeltgruppe 6 des Tarifvertrags der Länder (TV-L) mit einem entsprechendem Gehalt eingeordnet. Nach Ansicht der unterschiedlichen Kammern des Landesarbeitsgerichts hätten die Mitarbeiter aber in der Entgeltgruppe 9 zugeordnet werden müssen, weil sie selbstständige Leistungen im Sinne des Tarifvertrages erbringen. Betroffenen Mitarbeiter sollten möglichst bald die tarifvertraglich geschuldete Bezahlung einfordern, denn der Tarifvertrag sieht eine Ausschlussfrist in § 37 TV-L vor. Danach verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten von den Beschäftigten schriftlich geltend gemacht werden.

Fundstellen: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteile vom 06.12.2013, Az. 10 Sa 1338/13, 10 Sa 1339/13, Urteil vom 19.12.2013, Az. 14 Sa 1245/13, Urteil vom 20.12.2013, Az. 12 Sa 1340/13, Pressemitteilung Nr. 33/13

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CDU und SPD soll die Gesetzesvorhaben für die nächste Legislaturperiode vorgeben. Daher werfe ich im vierten und letzten Teil zum Koalitionsvertrag einen näheren Blick auf die Vereinbarungen, die das Strafrecht betreffen:

Aufgrund der Ermittlungspannen im Zusammenhang mit der rechtsradikalen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) will die Koalition die interkulturelle Kompetenz der Justiz stärken und die „personelle Vielfalt“ steigern (S. 144). Rassistische und fremdenfeindliche Tatmotive sollen zudem in den Urteilen benannt und im Rahmen der Strafzumessung zu höheren Strafen führen.

Es soll eine nachträglichen Therapieunterbringung für Gewalt- und Sexualstraftäter mit psychischen Störungen eingeführt werden. Für die lang andauernde Observation von entlassenen Sicherungsverwahrten soll endlich eine gesetzliche Eingriffsgrundlage geschaffen werden. Zudem will die Koalition erreichen, dass mehr Menschen wegen Stalkings (Nachstellung) verurteilt werden. Für Beleidigungen in sozialen Netzwerken und Internetforen (Cybermobbing und Cybergrooming) soll offenbar ein eigener Straftatbestand geschaffen werden. Die Koalitionspartner haben sich vorgenommen, eine Anzeige wegen dieser Delikte zu erleichtern. Da stellt sich dann schon die Frage, wie man eine formfreie Strafanzeige noch vereinfachen können soll? Lassen wir uns überraschen.

Schlimmste Befürchtungen lässt der Satz im Koalitionsvertrag aufkommen, dass das allgemeine Strafverfahren und das Jugendstrafverfahren effektiver und praxistauglicher ausgestaltet werden sollen. Man kann nur hoffen, dass das bloß eine Phrase ist und nicht bedeuten soll, dass die Koalition aus CDU/CSU und SPD „kurze Prozesse“ (zur Kostenersparnis) erleichtern will. Für letzteres spricht allerdings, dass in Zukunft in Jugendstrafverfahren, „die Strafe der Tat auf dem Fuße folgen“ soll (S. 146). Man darf anmerken, dass es auch in einem Jugendstrafverfahren für die Entwicklung des mutmaßlichen Straftäters kaum förderlich sein dürfte, wenn sich dieser vor Gericht ungerecht behandelt fühlt und den Eindruck bekommt, dass kein Recht gesprochen wird, sondern bloß möglichst schnell Staatsgewalt ausgeübt werden soll. Das Bundesverfassungsgericht hat völlig zurecht entschieden, dass die Hauptverhandlung das Kernstück des Strafprozesses zu sein (und zu bleiben) hat. In der Hauptverhandlung muss der Sachverhalt endgültig in einer Weise aufgeklärt und festgestellt werden, die die größte Gewähr für die Erforschung der Wahrheit und zugleich für die bestmögliche Verteidigung des Angeklagten und damit für ein gerechtes Urteil bietet (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 26.03.1987, Az. 2 BvR 589/79; 2 BvR 740/81; 2 BvR 284/85, Rn. 40).

Die große Koalition will zudem den Entzug des Führerscheins (Fahrverbot) für Erwachsene und  Jugendliche auch außerhalb der Verkehrsdelikte einführen. Das ist sicherlich keine uninteressante Idee, allerdings stellt sich schon die Frage, woran man stattdessen anknüpfen will. Zudem könnte der gegenteilige Effekt dadurch bewirkt werden und es zu einer Steigerung der Delinquenz wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis führen. Für nahe Angehörige von Opfern eines Tötungsdeliktes soll ein Schmerzensgeldanspruch geschaffen werden. Die große Koalition will zudem tatsächlich die EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung, die selbst der Generalanwalt der EU für rechtwidrig hält, in nationales Recht umsetzen. Immerhin soll auf eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate hingewirkt werden. Bestechung und Bestechlichkeit soll auch im Gesundheitsbereich unter Strafe gestellt werden. Die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung soll dagegen „neu“ geregelt werden (S. 152), ob dies Gesetze verschärft oder gar abgemildert werden sollen, erfährt man nicht aus dem Koalitionsvertrag.

Fundstelle: Koalitionsvertrag zwischen den Parteien CDU/CSU und SPD

Laut der Pressemitteilung vom 17.12.2013 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Bundeswehr einem (wehrdienstleistenden) Soldaten rechtmäßig befehlen kann, die Haare abzuschneiden, wenn die Haare länger als der Hemdkragen sind. Das soll selbst dann rechtmäßig sein, wenn die Bundeswehr ihren Soldatinnen erlaubt, ihre Haare so lang zu tragen, wie es ihnen passt. Letzteres stelle -nach der Pressemitteilung des Gerichts- eine zulässige Maßnahme zur Förderung von Frauen in der Bundeswehr dar. Das Gericht argumentiert damit, dass es angeblich eine Erwartungshaltung der Öffentlichkeit und innerhalb der Bundeswehr gäbe, dass männliche Soldaten ihr Haar kurz und weibliche Soldatinnen ihr Haar lang zu tragen haben. Die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte hänge nach dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts davon ab, dass Männer die Haare kurz und Frauen die Haare lang tragen. Mit dieser Entscheidung wird wohl eher etwas über die Erwartungshaltung der entscheidenden Richter ausgesagt als über die der Öffentlichkeit. Hoffentlich legt der ehemalige Wehrpflichtige gegen den Beschluss Verfassungsbeschwerde ein. Einen klareren nicht zu rechtfertigenden Grundrechtseingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit dürfte es wohl kaum geben. Das Argument des Bundesverwaltungsgericht, dass die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr gefährdet sei, wenn ein einziger Wehrdienstleistender längere Haare trägt, ist offensichtlich an den Haaren herbeigezogen.

Fundstellen: Bundesverwaltungsgericht, Beschlüsse vom 17.12.2013, Az. BVerwG 1 WRB 2.12, BVerwG 1 WRB 3.12, Pressemitteilung Nr. 89/2013

Die Frage, ob Bürger von EU-Mitgliedsstaaten einen Anspruch auf Hartz IV haben, wenn sie ausschließlich zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen, ist in der Rechtsprechung heftig umstritten (vgl. Blogartikel vom 15.01.2013: „Flut rechtswidriger Hartz-IV-Bescheide hält an – Hartz IV für EU-Angehörige“; Blogartikel vom 11.10.2013: „Anspruch auf Hartz IV für Migranten aus der EU“ und Blogartikel vom 12.12.2013: „Anspruch auf Hartz IV auch für arbeitssuchende EU-Bürger“). Teilweise wird ein Anspruch der EU-Bürger bereits aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen hergeleitet. Die Bundesregierung hatte aber am 19.12.2011 einen Vorbehalt gegen dieses Abkommen erklärt, weswegen viele Jobcenter Antragstellern aus EU-Ländern die Leistungsgewährung verweigerten. Einige Gerichte hielten den Vorbehalt der Bundesregierung für rechtlich unwirksam. Dieser Rechtsmeinung schließt sich das Bundessozialgericht allerdings offenbar nicht an. Damit ist aber die Frage noch nicht geklärt, ob der Leistungsausschluss für EU-Bürger nicht gegen andere europarechtliche Normen verstößt. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) soll nun die Frage beantworten, ob der Ausschluss für EU-Bürger gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Artikel 4 der Verordnung (EG) 883/2004 verstößt und inwieweit der Anspruch auf den Bezug von  Sozialleistungen für arbeitssuchende EU-Bürger gem. Art 24 Abs. 2 der FreizügigkeitsRL 2004/38/EG beschränkt werden kann. Zudem soll beantwortet werden, ob der ausnahmslose Leistungsausschluss einen Verstoß gegen Art 45 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit Art.18 AEUV darstellt, zumal die die Hartz-IV-Leistungen der Existenzsicherung dienen und gleichzeitig auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Das Bundessozialgericht hat diese Fragen zur Auslegung der Normen des Unionsrechts dem Gerichtshof der EU vorgelegt, so dass endlich mit Rechtsklarheit zu rechnen sein dürfte.

Fundstellen: Bundessozialgericht, Az. B 4 AS 9/13 R, Pressemitteilung Nr. 35/13

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CDU und SPD ist mittlerweile unterzeichnet worden. Es lohnt daher ein genauer Blick darauf, was die Regierungsparteien in der kommenden Legislaturperiode vorhaben. Die Parteien haben sich einiges vorgenommen, was sie im Arbeitsrecht verändern wollen:

1.) Mindestlohn

Ab dem 01.01.2015 gilt ein gesetzlicher Mindestlohnstundenlohn von 8,50 €. Allerdings können Regelungen in Tarifverträgen von dem Mindestlohn noch bis zum 01.01.2017 abweichen. Der Koalitionsvertrag sieht auch bereits Ausnahmeregeln für ehrenamtliche Minijobs vor. Der Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes soll auf alle Branchen ausgeweitet werden. Zudem sollen die Anforderungen an eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung (nach dem Tarifvertragsgesetz) reduziert werden, was die Einführung eines branchenspezifischen, höheren Mindestlohnes erleichtert. In Zukunft soll bereits ein besonderes öffentliches Interesse ausreichen um einen Tariflohn für allgemeinverbindlich zu erklären.

2.) Werkverträge

Der Missbrauch von Werkverträgen soll dadurch erschwert werden, dass „die Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen ordnungsgemäßen und missbräuchlichen Fremdpersonaleinsatz gesetzlich niedergelegt“ werden.

3.) Leiharbeit

In der Leiharbeit soll eine Überlassungshöchstdauer von achtzehn Monaten gesetzlich festlegt werden. Spannend dürfte allerdings werden, welche Folge die Koalitionsparteien an eine längere Arbeitnehmerüberlassung knüpfen, dazu schweigt sich der Koalitionsvertrag leider aus. Derzeit sieht das Arbeitsrecht überhaupt keine Sanktion bei einem dauernden Einsatz des Leiharbeitnehmers vor, wie es das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 10.12.2013, Az. 9 AZR 51/13, noch einmal ausdrücklich festgestellt hat. Leiharbeitnehmer sollen zudem spätestens nach neun Monaten den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaft erhalten. Leiharbeiter sollen nicht als Ersatz für streikende Arbeitnehmer eingesetzt werden dürfen.

4.) Teilzeitarbeit

Es soll ein Anspruch auf befristete Teilzeitarbeit eingeführt werden, Arbeitnehmer sollen nach einer zeitlich begrenzten Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit ein Rückkehrrecht zur Vollzeit erhalten.

5.) Tarifeinheit

Kurios wird es im Koalitionsvertrag im Hinblick auf die Tarifautonomie. Einerseits steht ganz am Anfang des Kapitels „Modernes Arbeitsrecht“, dass die Tarifautonomie gestärkt werden soll, andererseits nehmen sich die Regierungsparteien vor, den Koalitions- und Tarifpluralismus einzuschränken. Der Grundsatz der Tarifeinheit soll in den Betrieben (wieder) eingeführt werden. Das Bundesarbeitsgericht hatte demgegenüber mehrfach wiederholt, dass kein hinreichender Grund dafür besteht, die Möglichkeit auszuschließen, dass für verschiedene Arbeitnehmer im Betrieb unterschiedliche Tarifverträge gelten. (vgl. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 23.06.2010, Az. 10 AS 3/10, Beschluss vom 23.06.2010, Az.  10 AS 2/10). Insoweit dürfte es interessant werden, wie die Koalitionspartner diesen Punkt gesetzgeberisch umsetzen wollen. Zumal das Bundesarbeitsgericht hat Hinblick auf den Grundsatz der Tarifeinheit auch verfassungsrechtliche Bedenken (Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Grundgesetz) geäußert hat (vgl. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 27.01.2010, 4 AZR 549/08 (A)). Danach stellt die Verdrängung eines von einer Gewerkschaft geschlossenen Tarifvertrages nach dem Grundsatz der Tarifeinheit sowohl einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die kollektive Koalitionsfreiheit der tarifschließenden Gewerkschaft als auch in die individuelle Koalitionsfreiheit des an diesen gebundenen Gewerkschaftsmitglieds dar. Es bleibt offen, was die Koalitionspartner mit der folgenden Formulierung des Koalitionsvertrages im Sinn haben: „Durch flankierende Verfahrensregelungen wird verfassungsrechtlich gebotenen Belangen Rechnung getragen.“ Möglicher Weise ist die Passage so zu deuten, dass die Einschränkung der Koalitionsfreiheit oder des Streikrechts (für kleinere Gewerkschaften) im Grundgesetz verankert werden soll.

Fundstelle: Koalitionsvertrag zwischen den Parteien CDU/CSU und SPD; Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.12.2013, Az. 9 AZR 51/13, Pressemitteilung Nr. 73/13; Beschluss vom 27.01.2010, 4 AZR 549/08 (A), Pressemitteilung Nr. 09/10; Beschluss vom 23.06.2010, Az. 10 AS 3/10, Beschluss vom 23.06.2010, Az.  10 AS 2/10, Pressemitteilung Nr. 46/10

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CDU und SPD, dem noch die Mitglieder der SPD mehrheitlich zustimmen müssen, sieht für den Bereich der sozialen Sicherung eine massive Unterstützung für Langzeitarbeitslose vor. Man darf gespannt sein, wie das konkret geschehen soll. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu u. a. „die Mittelverteilung [soll] stärker auf Wirkungsorientierung ausgerichtet werden. Dabei ist auch der bisherige Problemdruckindikator als Verteilungsmaßstab auf den Prüfstand zu stellen.“ Hoffentlich wissen wenigstens die Handlungsdelegationen der Parteien, was sie mit dieser Passage vereinbart haben. Jugendliche und junge Arbeitslose sollen durch die Einrichtung von Jugendberufsagenturen besser gefördert werden. Die Anwartschaftszeit für den Bezug von Arbeitslosengeld I soll für überwiegend kurzfristig Beschäftigte von zwei auf drei Jahre verlängert werden. Das Leistungs- und Verfahrensrecht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) soll vereinfacht und effektiver ausgestaltet werden. Konkrete Maßnahmen nennt der Koalitionsvertrag allerdings auch insoweit nicht. Langzeitarbeitslose, deren Partner ein so hohes Einkommen hat, dass deswegen der Anspruch für den arbeitslosen Partner auf Hartz IV ausgeschlossen wird, sollen aber wohl immerhin einen Anspruch auf Qualifizierungs- und Eingliederungsmaßnahmen erhalten. Morgen erfahren Sie an dieser Stelle mehr zu den Vorhaben der großen Koalition zum Thema Arbeitsrecht.

Fundstelle: Koalitionsvertrag zwischen den Parteien CDU/CSU und SPD

Ein Rechtsanwalt kann sich einer (versuchten) Nötigung strafbar machen, wenn er sich für anwaltliche Mahnschreiben hergibt, ohne die geltend gemachte Prüfung überhaupt selbst geprüft zu haben. Im vom Bundesgerichtshof mit  Beschluss vom 05.09.2013, Az. 1 StR 162/13, entschiedenen Fall hatte der Inhaber eines Gewinnspieleintragungsdienstes einen Rechtsanwalt mit dem Entwurf von mehreren Mahnschreiben beauftragt. Im weiteren Verlauf verschickte der Inhaber des Gewinnspieleintragungsdienstes selbstständig aber in Kenntnis des Rechtsanwaltes Abmahnschreiben an diverse Kunden. In den Schreiben wurde vom Anwalt behauptet, dass er mit der Durchsetzung der berechtigten Forderungen beauftragt worden sei und er sich vorbehalte, bei Ausbleiben der Zahlung den Sachverhalt der Staatsanwaltschaft zur Überprüfung wegen Betrugsverdachts vorzulegen. Tatsächlich war zwischen dem Inhaber des Gewinnspieleintragungsdienstes und dem Rechtsanwalt aber vereinbart worden, dass eine gerichtliche Geltendmachung der Forderungen ebenso wie die Stellung von Strafanzeigen unterbleiben sollte. Aufgrund der versandten Mahnschreiben ging beim Inhaber des Gewinnspieleintragungsdienstes eine Summe in Höhe von zirka 860.000,00 € ein, von denen der Rechtsanwalt einen Anteil von mindestens 139.690,33 € erhielt. Der Bundesgerichtshof wertete das Verhalten des Rechtsanwalts als versuchte Nötigung uns verurteilte ihn damit zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Der Anwalt konnte sich auch nicht mit der fehlenden Kenntnis herausreden, dass die von ihm eingetriebenen Forderungen zivilrechtlich nicht gerechtfertigt waren. Denn es sei sozial unerträglich, dass juristische Laien durch Behauptungen und Androhungen, die der Angeklagte mit der Autorität eines Organs der Rechtspflege ausgesprochen hat, zur Erfüllung der behaupteten, nur scheinbar von diesem geprüften rechtlichen Ansprüche veranlasst werden sollten. Gerade in Anbetracht der derzeit durch das Land schwappende Abmahnwelle dürfte die Entscheidung von hohem Interesse sein.

Fundstellen: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.09.2013, Az. 1 StR 162/13; Pressemitteilung Nr. 200/2013

Die Parteien CDU/CSU und SPD haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Die Gremien der CDU und CSU haben dem Vertrag bereits zugestimmt, das Ergebnis der Mitgliederbefragung der SPD wird in wenigen Tagen vorliegen, es ist also an der Zeit sich den Vertrag einmal genauer anzuschauen. Einige Teile der Übereinkunft werde ich hier in einigen Blog-Beiträgen vorstellen.

Für Opfer von Unrecht in der DDR gibt es eine positive Nachricht, die Parteien haben sich auf eine Steigerung der Opferrente geeinigt. Wie hoch diese ausfallen soll, lässt sich dem Vertrag jedoch nicht entnehmen. Opfer von DDR-Unrecht haben unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen (vgl. hierzu Rehabilitierung). Dringend benötigte Beweiserleichterung für die Wiedergutmachungssuchenden sieht der Koalitionsvertrag leider nicht vor. Auch gibt es keine Regelung zur Archivierung und zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der DDR-Strafakten bzw. der Unterlagen aus den Kinderheimen der DDR. Eine derartige Vereinbarung findet sich nur hinsichtlich der Frauenbewegung in der DDR und der Erhaltung des Archivs der DDR-Opposition. Zudem stellen die Parteien kurioser Weise in dem Koalitionsvertrag fest, dass es enorme Wissensdefizite bei Jugendlichen über die beiden deutschen Diktaturen im 20. Jahrhundert gebe. Für Opfer der DDR-Justiz, die haftbedingte Gesundheitsschäden erlitten haben, soll zudem die die medizinische Begutachtung verbessert werden. Etwas konkretere Vorgaben hätte man sich im Hinblick auf die Aufarbeitung und Rehabilitierung von DDR-Unrecht im Koalitionsvertrag dann doch gewünscht.

Fundstelle: Koalitionsvertrag zwischen den Parteien CDU/CSU und SPD

Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II (Hartz IV) stehen auch Bürgern aus EU-Staaten zu, die sich in Deutschland ausschließlich zur Arbeitssuche aufhalten. Das entschied das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG-NRW) hat mit Urteil vom 28.11.2013, Az. L 6 AS 130/13. Der im zweiten Sozialgesetzbuch enthaltene ausnahmslose Leistungsausschluss für Ausländer verstößt nach dem Urteil des Gerichts gegen Europarecht, da hierdurch das Gleichbehandlungsgebot für alle EU-Bürger aus Art. 4 der Unionsbürgerrichtlinie (Verordnung EU 883/2004) verletzt wird.  Die klagende rumänische Familie, die seit 2009 in Gelsenkirchen wohnt, hat danach einen Anspruch auf Hartz IV. Ein anderer Senat des Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen kam bereits in einem ähnlich gelagerten Falls zu demselben Ergebnis, wobei es sich allerdings um die Frage, ob der Leistungsausschluss aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gegen das Recht der Europäischen Union verstößt, ein wenig herumargumentiert hatte (vgl. Blogartikel vom 11.10.2013: „Anspruch auf Hartz IV für Migranten aus der EU“). Der Europäische Gerichtshof hatte zudem mit Urteil vom 19.09.2013, Az. C-140/12, eine vergleichbare, österreichische Regelung wegen Verstoßes gegen Unionsrecht für rechtswidrig erklärt. Die Parteien CDU/CSU und SPD haben sich dementsprechend in dem vorliegenden Entwurf des Koalitionsvertrages darauf geeinigt, die soziale Absicherung zu verbessern, um einen gemeinsamen europäischen Arbeitsmarkt zu fördern (S. 163 des Koalitionsvertrags). Zu den Inhalten des Koalitionsvertrages erfahren Sie morgen an dieser Stelle mehr.

Fundstellen: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.11.2013, Az. L 6 AS 130/13, Pressemitteilung vom 29.11.2013; Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 19.09.2013, Az. C-140/12



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