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Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 09.04.2025, Az. 2 BvR 1298/24, entschieden, dass ein Rehabilitierungsverfahren vom Landgericht Meiningen neu verhandelt werden muss, weil das Landgericht Meiningen das Recht auf einen gesetzlichen Richter und auf rechtliches Gehör (und in der darauf folgenden Instanz das thüringische Oberlandesgericht zudem das Recht auf effektiven Rechtsschutz) verletzt hat. Die beiden die Rehabilitierung ablehnenden Beschlüsse der beiden Gerichte wurden daher aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung an das Landgericht Meiningen zurückverwiesen. Der Betroffene hatte seine Rehabilitierung nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz bezüglich eines Strafurteils durch das Kreisgericht Meiningen in der DDR aus dem Jahr 1973 wegen Diebstahls zu einer neunmonatigen Haftstrafe beantragt.

Die entscheidenden Richter des Landgerichts Meiningen waren vom Antragsteller im Rehabilitierungsverfahren wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden, da sie (sowohl faktisch als auch rechtlich) unzutreffende rechtliche Hinweise erteilt hatten. Das Landgericht hatte den Hinweis erteilt, dass die Staatsanwaltschaft den Antrag nur zum Teil für begründet erachtet. Das stimmt allerdings nicht. Die Staatsanwaltschaft hat in der vom Gericht mitübersandten Verfügung beantragt, den Antrag insgesamt abzulehnen. In dem Hinweis führte das Landgericht weiter aus, dass es einstimmig der Meinung sei, dass die Ansicht der Staatsanwaltschaft richtig sei. Weiter wurde vom Gericht ausgeführt, dass wenn bis zu einem bestimmten Datum keine Stellungnahme eingehen würde, dann würde das Landgericht dies als Rücknahme des Antrages ansehen. Vorsorglich wies das Landgericht zudem darauf hin, dass die Kammer einstimmig der Auffassung ist, dass die Ansicht der Staatsanwaltschaft richtig sei, so dass ein Rechtsmittel nicht zulässig sei, wenn der Antrag als unbegründet verworfen werden sollte.

Kurz nach Ablauf des vom Landgericht genannten Datums zur Stellungnahme lehnte der Antragsteller die Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit aufgrund des erteilten prozessualen Hinweises ab. Die Richter meinten selbst über den Befangenheitsantrag (und gleichzeitig in der Sache) entschieden zu können. Die abgelehnten Richter des Landgericht Meiningen hatten das Ablehnungsgesuch als unzulässig verworfen, weil der Befangenheitsantrag verspätet gestellt worden sei. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde wurde vom Thüringer Oberlandesgericht als unbegründet zurückgewiesen, zwar sei die Zurückweisung des Befangenheitsantrages als unzulässig rechtswidrig gewesen, die Auffassung der (abgelehnten) Kammer habe aber auf keiner willkürlichen oder die Anforderungen des Grundrechtes auf einen gesetzlichen Richter grundlegend verkennenden Rechtsanwendung beruht.

Dem ist das Bundesverfassungsgericht jetzt in dem Beschluss vom 09.04.2025, Az. 2 BvR 1298/24, entgegengetreten und hat ausgeführt, dass die Verwerfung des Befangenheitsantrags als unzulässig auf Erwägungen beruht, die rechtlich nicht mehr vertretbar sind und auf eine grundlegende Verkennung des Gewährleistungsgehalts der Garantie des gesetzlichen Richters hindeuten. Ein Befangenheitsgesuch außerhalb einer Hauptverhandlung kann bis spätestens zum Erlass der Entscheidung gestellt werden und unterliegt im Übrigen keinen zeitlichen Beschränkungen. Auch inhaltlich durfte der Befangenheitsantrag nicht ohne weiteres abgelehnt werden, denn der gerichtliche Hinweis, dass die Entscheidung unanfechtbar sei, sollte der Antrag als unbegründet verworfen werden, konnte derart missverstanden werden, dass damit der gesamte Antrag -und nicht bloß die Prüfung eines groben Missverhältnisses zwischen Strafanlass und Strafhöhe- gemeint sei. Zudem gibt es für die vom Landgericht in Aussicht gestellte Rücknahmefiktion keine gesetzliche Grundlage. Eine (fiktive) Antragsrücknahme wegen Nichtbetreibens des Verfahrens ist im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren gesetzlich nicht vorgesehen. Eine Antragsrücknahme muss ausdrücklich erklärt werden.

Die in beiden Instanzen geltend gemachte politische Verfolgung wurde gar nicht von den Gerichten geprüft, damit ist die Garantie rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, da der Antrag in keiner Instanz beschränkt worden war und daher auch vollumfänglich zu prüfen gewesen wäre.

Die Annahme der (teilweisen) Unzulässigkeit der Beschwerde durch das Oberlandesgericht erfolgte zudem unter Verstoß gegen den effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG). Das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz sieht grundsätzlich zwei Instanzen vor. Das Thüringer Oberlandgericht hätte sich daher mit der Beschwerdebegründung inhaltlich auseinandersetzen müssen, was aber nicht geschehen ist, eine Beschwerde ist im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren nur ausgeschlossen, soweit das Landgericht entschieden hat, dass die Rechtsfolgen der angegriffenen Entscheidung nicht in grobem Missverhältnis zu der zugrunde liegenden Tat stehen. Das Oberlandesgericht hätte eine eigene Sachprüfung vornehmen müssen, da der Antrag auch mit einer politischen Verfolgung begründet worden war.

Fundstelle: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 09.04.2025, Az. 2 BvR 1298/24

Das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz vermutet (widerleglich), dass die Anordnung der Unterbringung in ein Spezialheim der DDR – also beispielsweise in ein Spezialkinderheim oder einem Jugendwerkhof – der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich jetzt mit der Frage zu beschäfitgen, wann diese Vermutung als widerlegt anzusehen ist und ob hierfür pauschale Erziehungsschwierigkeiten ausreichen können.

Den ursprünglichen Rehabilitierungsantrag hatte das Oberlandesgericht Dresden abgelehnt, weil in den vorliegenden Unterlagen eine Arbeitsbummelei sowie das Fernbleiben des Betroffenen vom Jugendwohnheim vermerkt worden seien. In einem späteren Strafurteil wurde von Schulbummelei und Straftaten gesprochen. Das Oberlandesgericht meinte aus dem Umtstand, dass der Betroffene zwischen der Unterbringung im Spezialkinderheim und im Jugendwerkhof zeitweise in einem Normalkinderheim beziehungsweise in einem Jugendwohnheim untergebracht worden war, den Schluss ziehen zu können, dass die damalige Jugendhilfe bestrebt war, erkennbaren Verbesserungen der Erziehungssituation Rechnung zu tragen. Die Rehabilitierung war demnach abgelehnt worden, weil die gesetzliche Vermutung der Rechtsstaatswidrigkeit als widerlegt angesehen wurde. Die Einweisungsentscheidungen seien angesichts der Hinweise auf Erziehungsschwierigkeiten und eine ungenügende Lernbereitschaft als aus rein fürsorgerischen Gründen erfolgt anzusehen gewesen.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 31.07.2023 diese Argumentation als willkürlich abgelehnt. Eine Rehabilitierung scheide nicht bereits dann aus, wenn  Anhaltspunkte auf die typischen Regeleinweisungsgründe vorliegen. Das Bundesverfassungsgericht führt in dem Beschluss aus, dass es mittlerweile anerkannt ist, dass in den Spezailheimen ein System herrschte, das sich aus strengster Disziplinierung, entwürdigenden Strafen, genauester Kontrolle des Tagesablaufs, Abschottung von der Außenwelt und ideologischer Indoktrination zusammensetzte, und in dem das Kind oder der Jugendliche zur bedingungslosen Unterwerfung unter die staatliche Autorität gezwungen werden sollte.

Nach den Forschungsergebnissen zur Heimerziehung in der DDR stellten demnach pauschal umschriebene Erziehungsschwierigkeiten, ungenügende Lernbereitschaft, Schul- oder Arbeitsbummelei typische Begründungen für die Heimerziehung in einem Spezialkindereheim dar. Vor diesem Hintergrund können nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sachfremde Zwecke der Unterbringung nicht bereits durch pauschale Verweise auf diese typischen Regeleinweisungsgründe ausgeschlossen werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat daher die ablehnende Rehabilitierungsentscheidung wegen Verstoßes gegen das Willkürverbot (Art. 3 GG) aufgehoben, da die Ablehnung der gesetzllichen Regelvermutung im vorliegenden Fall in nicht mehr nachvollziehbarer und die Rehabilitierung damit in willkürlicher Weise abgelehnt worden sei.

Fundstelle: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 31.07.2023, Az. 2 BvR 1014/21

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