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Am 22.10.2023 hatte ich über die Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht vom 19.10.2023 berichtet. Das Bundesverwaltungsgericht hatte entschieden, dass auch Zwangsadoptionen in der DDR verwaltungsrechtlich rehabilitiert werden können (Blogartikel vom 22.10.2023: „Bundesverwaltungsgericht: Zwangsadoptionen können für rechtsstaatswidrig erklärt werden“). Mittlerweile liegen auch die schriftlichen Entscheidungsgründe:

Das Bundesverwaltungsgericht stellt in dem Urteil vom 19.10.2023, Az. BVerwG 8 C 6/22, klar, dass Adoptionen nach DDR-Recht mit der Maßgabe verwaltungsrechtlich rehabilitiert werden können, dass die Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit -anstelle der sonst üblichen  Aufhebung- ausgesprochen wird.

Für diese Auslegung sprechen auch die Regelungen des Einigungsvertrages. Artikel 17 des Einigungsvertrages sieht die Rehabilitierung der Opfer des SED-Unrechts-Regimes und eine entsprechende Entschädigungsregel vor. Artikel 19 S. 2 des Einigungsvertrages sieht die Möglichkeit der Aufhebung in der DDR ergangener Verwaltungsakte vor, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar sind. Zudem verdränge die Übergangsregelung des Art. 234 § 13 EGBGB nicht schlechthin die verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsvorschriften, es werde nur die Aufhebung als Rechtsfolge der Rehabilitierung ausgeschlossen. Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG spreche dafür, dass Betroffene einer Zwangsadoption die mit einer verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung verbundenen Versorgungsansprüchen in Anspruch nehmen können. Eine Rehabilitierung könne bei Vorliegen der Voraussetzungen daher grundsätzlich erfolgen und die Rechtsstaatswidrigkeit der Adoption gerichtlich festgestellt werden.

Im vorliegenden Fall hatte der leibliche Vater des Klägers nach dem Tod der Mutter, die bei der Scheidung das Erziehungsrecht erhalten hatte, unter den Hinweis auf seinen Ausreiseantrag die Übertragung des Erziehungsrechts auf sich beantragt. Er wolle zusammen mit seinem Sohn in die Bundesrepublik ausreisen. Weder dulde der Vater noch wünsche er eine kommunistische Erziehung seines Sohnes. Der Antrag auf Übertragung des Erziehungsrechts des Vaters wurde im Jahr 1977 ebenso wie dessen Ausreiseantrag abgelehnt. In der Folge wurde der Vater noch im selben Jahr unter anderem wegen staatsfeindlicher Hetze im schweren Fall und versuchter Republikflucht zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Während der Haft des Vaters des Klägers hat die Jugendhilfe Gera beschlossen, den Kläger in eine fremde Familie zu vermitteln, bevor der Vater aus dem Strafvollzug entlassen werde. Im Dezember 1977 wurde der Kläger in eine Pflegefamilie vermittelt. Im Februar 1978 wurde der Vater aus der Haft in die Bundesrepublik Deutschland ohne seinen Sohn entlassen. Im Jahr 1982 wurde der Kläger gegen den Willen des leiblichen Vaters von den Pflegeeltern adoptiert.

Im Jahr 1984 wurde der Kläger wegen Misshandlungen durch den Adoptivvater in einem Kinderheim untergebracht. Der Adoptivvater wurde wegen Verletzung seiner Erziehungspflicht in Form der Misshandlung des Klägers zu einer Bewährungsstrafe von 8 Monaten verurteilt. Der Kläger wurde in den folgenden Jahren in verschiedenen Spezialheimen und Jugendwerkhöfen untergebracht. Bis heute leidet der Kläger wegen der traumatischen Erlebnisse rund um die Adoption gesundheitlich an innerer Unruhe, Schlafstörungen, Aggressionsanfällen, Zwangsgedanken, Angstzuständen, wiederkehrenden traumatischen Erinnerungen und Verfolgungsangst.

Im vorliegenden Fall sei die Adoption als rechtsstaatswidrig anzusehen, weil die Adoption nicht am Kindeswohl orientiert war, sondern zum Nachteil des Klägers zu politischen Zwecken missbraucht wurde. Sie diente dazu, das betroffene Kind seinem Vater zu entziehen, seine Ausreise gemeinsam mit seinem Vater zu verhindern und eine dessen Wünschen widersprechende sozialistische Erziehung in einer linien-treuen Familie zu gewährleisten. Dieses Vorgehen war von der Absicht getragen, nicht nur den Vater des Klägers, sondern auch diesen selbst bewusst zu benachteiligen. Der Kläger wurde daher vom Bundesverwaltungsgericht verwaltungsrechtlich rehabilitiert.

Fundstelle: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.10.2023, Az. BVerwG 8 C 6/22

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19.10.2023 in einem Revisionsverfahren, bei dem ich den Kläger vertreten habe, entschieden, dass auch Zwangsadoptionen in der DDR verwaltungsrechtlich rehabilitiert werden können. Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht wird die Adoption zwar nicht aufgehoben, es muss aber -bei Vorliegen der Voraussetzungen des verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes- die Rechtsstaatswidrigkeit der erfolgten Adoption festgestellt werden.

In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall war die Adoption mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar, weil sie sich als Willkürakt im Einzelfall darstellte. Die Adoption war nicht  am Kindeswohl orientiert, sondern diente dazu, den Vater des Klägers zu disziplinieren und eine gemeinsame Ausreise nach Westdeutschland zu verhindern. Unmittelbare Folge der rechtsstaatswidrigen Adoption war eine noch fortdauernde Gesundheitsbeeinträchtigung des Betroffenen. Der Kläger war daher verwaltungsrechtlich zu rehabilitieren.

Fundstelle: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.10.2023, Az. BVerwG 8 C 6.22; Pressemitteilung vom 19.10.2023, Nr. 74/2023

Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem Urteil vom 19.10.2022, Az. BVerwG 8 C 15.21, zum verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsverfahren klargestellt, dass Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit durch Sicherheitsbehörden der DDR grundsätzlich verwaltungsrechtlich zu rehabilitieren sein können. Diese Eingriffe können nicht ohne weiteres als systembedingte Nachteile dem allgemeinen Schicksal der Bevölkerung der DDR zugerechnet werden. Eingriffe in die Rechtsgüter Leben und Gesundheit und in die körperliche Bewegungsfreiheit überschreiten demnach immer die Schwelle der für die Annahme einer Verfolgung erforderlichen Eingriffsintensität. Nur bei einer Beeinträchtigung anderer Rechte muss eine wertende Beurteilung vorgenommen und geprüft werden, ob derartige Eingriffe und Benachteiligungen systembedingt mehr oder weniger allgemeines DDR-Schicksal waren. Die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung setzt aber auch insoweit kein über eine ungleiche Betroffenheit hinausgehendes drastisches Sonderopfer voraus.

In dem von mir für den Kläger geführten Revisionsverfahren ging es u. a. um die Überwachung des Klägers durch Gesellschaftliche und Informelle Mitarbeiter der Stasi während seines Grundwehrdienstes bei der NVA, mehrere Festnahmen des Klägers durch Sicherheitsbehörden der DDR, die zum Teil der Durchsetzung eines gegen den Kläger verhängten Verbots privater Fotoausstellungen dienten. Eine weitere Festnahme erfolgte im Zusammenhang mit einem Rockkonzert am Brandenburger Tor, als der Kläger Fotos von weiteren Verhaftungen machte.

Die Überwachung durch Mitarbeiter und Informelle Mitarbeiter der Stasi während des Grundwehrdienstes stellte nach dem Urteil eine hoheitliche Maßnahme im Einzelfall dar, die individuell und konkret auf die Person des Klägers ausgerichtet war. Diese Bespitzelung stellte kein Allgemeinschicksal aller DDR-Bürger dar. Sie verstieß in schwerwiegender Weise gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Es wurde hierdurch in erheblicher Weise in die Persönlichkeitssphäre des Klägers eingegriffen und mit der operativen Kontrolle kein legitimes Ziel verfolgt. Dabei könne offen bleiben, ob die Maßnahme der politischen Verfolgung gedient habe, da sie jedenfalls willkürlich war. Die Überwachung durch die Staatssichert diente dazu, den Kläger unter Kontrolle zu halten und ihn zu selbstbelastenden Aussagen über mögliche Fluchtpläne zu verleiten.

Sämtliche Festnahmen stellten hoheitliche Maßnahmen im Einzelfall dar, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats unvereinbar waren, da sie als willkürlich anzusehen waren. Zudem war auch das ausgesprochene Verbot privater Fotoausstellungen nicht dem Bereich allgemeiner Beeinträchtigungen der DDR zuzuordnen. Eine solche Maßnahme geht über ein bloßes Ausstellungsverbot im Sinne einer zensierenden Kulturpolitik hinaus und erhält ihren rechtsstaatswidrigen Charakter durch die staatlicherseits hergestellte Verbindung zwischen bereits erlittener Haft, einem gegenüber dem Kläger ausgesprochenen Verbot privater Fotoausstellungen und der Androhung weiterer Haft im Falle der Zuwiderhandlung.

Fundstelle: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.10.2022, Az. BVerwG 8 C 15.21

Laut der Pressemitteilung vom 17.12.2013 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Bundeswehr einem (wehrdienstleistenden) Soldaten rechtmäßig befehlen kann, die Haare abzuschneiden, wenn die Haare länger als der Hemdkragen sind. Das soll selbst dann rechtmäßig sein, wenn die Bundeswehr ihren Soldatinnen erlaubt, ihre Haare so lang zu tragen, wie es ihnen passt. Letzteres stelle -nach der Pressemitteilung des Gerichts- eine zulässige Maßnahme zur Förderung von Frauen in der Bundeswehr dar. Das Gericht argumentiert damit, dass es angeblich eine Erwartungshaltung der Öffentlichkeit und innerhalb der Bundeswehr gäbe, dass männliche Soldaten ihr Haar kurz und weibliche Soldatinnen ihr Haar lang zu tragen haben. Die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte hänge nach dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts davon ab, dass Männer die Haare kurz und Frauen die Haare lang tragen. Mit dieser Entscheidung wird wohl eher etwas über die Erwartungshaltung der entscheidenden Richter ausgesagt als über die der Öffentlichkeit. Hoffentlich legt der ehemalige Wehrpflichtige gegen den Beschluss Verfassungsbeschwerde ein. Einen klareren nicht zu rechtfertigenden Grundrechtseingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit dürfte es wohl kaum geben. Das Argument des Bundesverwaltungsgericht, dass die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr gefährdet sei, wenn ein einziger Wehrdienstleistender längere Haare trägt, ist offensichtlich an den Haaren herbeigezogen.

Fundstellen: Bundesverwaltungsgericht, Beschlüsse vom 17.12.2013, Az. BVerwG 1 WRB 2.12, BVerwG 1 WRB 3.12, Pressemitteilung Nr. 89/2013

Die Mutter einer zweijährigen Tochter erhielt trotz Rechtsanspruches in Rheinland-Pfalz, keinen Platz in der Kindertagesstätte (Kita) für ihr Kind zur Verfügung gestellt. Deshalb musste die Mutter ihr Kind mehrere Monate in der Kinderkrippe einer privaten Elterninitiative unterbringen. Dadurch entstanden der Mutter Kosten in Höhe von zirka 2.200,00 €. Diese Kosten muss ihr nun das Bundesland erstatten, entschied das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 12.09.2013, Az. 5 C 35.12. Nach dem Urteil des Gerichts ergibt sich der Anspruch auf Aufwendungsersatz unter bestimmten Bedingungen aus dem Achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII), wenn ein Anspruch auf Jugendhilfeleistungen von der zuständigen Stelle nicht erfüllt wird und der Leistungsberechtigte sich die Hilfe anderweitig selbst beschaffen muss.

Fundstellen: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12.09.2013, Az. 5 C 35.12, Pressemitteilung Nr. 66/2013

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